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Multiresistent: NDM-1-Bakterien

Im Sommer 2010 sorgte der neue „Superkeim“ NDM-1 in Österreich und anderen europäischen Ländern erstmals für Schlagzeilen. Diese Bakteriengattung ist gegen fast alle verfügbaren Antibiotika restistent, weshalb sie sowohl für Kinder und Erwachsene gefährlich werden kann.

Nachdem die ersten Fälle in Großbritannien aufgetaucht waren, wurden im Verlauf des Sommers weitere Erkrankungen in anderen europäischen Ländern registriert, darunter auch Österreich. Mitte November 2010 wurden laut der Europäischen Behörde für Seuchenkontrolle ECDC 77 Fälle in 13 europäischen Staaten nachgewiesen, sieben Patienten starben.

Definition

NDM-1 steht für das Enzym "Neu Delhi Metallo-Beta-Laktamase-1", das in der Lage ist, Carbapenem-Antibiotika zu zerstören, weshalb man es auch Carbapenemase NDM-1 nennt. Dieser Zerstörungsmechanismus liegt laut dem deutschen Robert-Koch-Institut dem Resistenzphänomen der Bakteriengattung zugrunde. Denn die Bakteriengattung, die in den besagten Krankheitsfällen identifiziert wurde – sogenannte Gram-negative Bakterien - erzeugen das Enzym. Sie bilden es jedoch erst, nachdem sie zusätzliche Gene (Resistenzgene) aufgenommen haben, die auf mobilen Resistzenzplasmiden zwischen den verschiedenen Gram-negativen Bakterien übertragen werden können.

Konkret sind die Bakterienarten Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae betroffen, erstere siedeln sich vor allem im Darm, zweitere vorwiegend in der Lunge an.

Für die Wissenschaft sind multiresistente Erreger jedoch nichts ganz Neues, sondern wurden schon in den vergangenen Jahren in einigen Ländern nachgewiesen. Betroffen waren vor allem Erreger von Krankenhausinfektionen. Auch die Carbapenemase NDM-1 sind nicht gänzlich unbekannt. Schon 2008 wurden sie erstmals bei einem Patienten nachgewiesen, 2009 auch in Europa. Die ersten Fälle auf diesem Kontinent waren Medizintouristen, die sich in Indien oder Pakistan medizinischen Eingriffen unterzogen hatten und dabei infiziert wurden.

Bakterien

In Österreich wurden die Bakterien laut dem Bundesministerium für Gesundheit erstmals Ende des Sommers 2010 bei zwei Patienten am Uniklinikum Graz nachgewiesen. Bei beiden stammte der Ausgangspunkt der Bakterienstämme vom indischen Subkontinent. Einer der Patienten war bereits im Vorjahr in Behandlung und wurde gesund entlassen, die spätere Zuordnung wurde erst durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse möglich.

Das konkrete Problem bei bei diesen Baktierenstämmen ist, dass damit bereits gegen andere Antibiotika mehrfachresistente Bakterien zusätzlich eine Resistenz gegen die therapeutisch wichtige Antibiotika-Gruppe der Carbapeneme erworben haben, betont man beim Robert-Koch-Institut. Diese Reserveantibiotika konnten bislang eingesetzt werden, wenn Standardmedikamente keine Wirkung zeigten. Die Anzahl der alternativen Behandlungsmethoden verringert sich damit deutlich.

Ansteckung

Wie sich erst 2009 bei der Neuen Grippe gezeigt hat, können sich Erreger heutzutage schnell über mehrere Kontinente hinweg verbreiten. Im Fall der NDM-1-Bakterien sind vor allem Menschen betroffen, die in Krankenhäusern behandelt wurden. Diese können den Erreger wiederum an andere Personen weitergeben, wobei die Übertragung als Kontaktinfektion, also über die Hände, erfolgt.

Um die weitere Ausbreitung zu verhindern, sollte deshalb gerade in medizinischen Einrichtungen, aber auch im Alltag auf die ausreichende (Hand-)Hygiene geachtet werden.

Tatsächlich sind die Bakterien nicht ansteckender als vergleichbare Arten, wie bereits angesprochen liegt das Problem hier jedoch in der problematischeren Antibiotikatherapie, die aufgrund der Multiresistenz nicht optimal erfolgen kann. Zugleich kann dadurch die Ausbreitungsfähigkeit erhöht sein.

Wie hoch das gesundheitliche Risiko für die Allgemeinbevölkerung ist, bleibt offen. Einige Experten schätzen es als relativ gering ein, berichtet Focus.de und beruft sich dabei auf das Nationale Referenzzentrum (NRZ) für gram-negative Krankenhauserreger. Demnach sei eine Besiedlung des Magen-Darm-Trakts mit Bakterien völlig normal. Ob diese eine gefährliche Infektion auslösen, hänge vielmehr von ihrer Struktur und von dem gesundheitlichen Zustand des Patienten ab. So könne es ebenso vorkommen, dass sich ein Darmbakterium mit dem NDM-1-Enzym im Verdauungstrakt befindet, aber eine harmlose Variante darstellt und deshalb zu keiner Krankheit führt.

Kinder und ältere Menschen, die an einem geschwächten Immunsystem leiden, wären damit theoretisch eher einer Risikogruppe zuzuordnen. Da bisher aber vor allem Personen erkrankten, die im Ausland medizinisch behandelt wurden, ist ein Auftreten speziell unter Kindern derzeit nicht abzusehen. 

Therapie

Auf welche Behandlung wird also bei einer Erkrankung zurückgegriffen? Während die Reserveantibiotika Carbapeneme wirkungslos scheinen, konnte eine gewisse Wirkung bei den Antibiotika Tigezyklin und Colistin festgestellt werden, die somit bei einer Behandlung auf den jeweiligen Fall abgestimmt eingesetzt werden können.

Abhängig von der Art der Infektion und der Stärke der Erkrankung kann aber auch mit diesen beiden Mitteln nicht immer eine optimale Behandlung garantiert werden, heißt es beim Robert-Koch-Institut.

Andere wirksame Antibiotika sind derzeit nicht verfügbar. Bis diese entwickelt und marktreif sind, würden mindestens zehn Jahre vergehen, schreibt die Europäische Gesellschaft für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten (ESCMID). Angesichts möglicher weiterer Veränderungen der Bakterienstrukturen könnten diese aber ebenfalls bald wieder hinfällig werden. Einige Experten fordern daher neben neuen Antibiotika auch den maßvollen Einsatz von Reserve- bzw. Notfallantibiotika, um neue Resistenzen zu verhindern oder zumindest einzudämmen.

In Österreich hat das Bundesministerium für Gesundheit eine Empfehlung ausgegeben, wonach bei Patienten und Medizintouristen, die in Indien oder Pakistan behandelt wurden, bei Verdacht auf eine Infektion mit den NDM-1-Bakterien krankenhaushygienische Maßnahmen vorgenommen werden. Sie und enge Kontaktpersonen sollten einem Screening unterzogen werden, um eine Infektion mit Sicherheit festzustellen bzw. ausschließen zu können. Bei einer Erkrankung wird empfohlen, die Betroffenen zu isolieren bzw. weitere krankenhaushygienische Grundmaßnahmen einzuleiten, die auch bei anderen multiresistenten Erregern vorgeschrieben werden. Dadurch soll eine Verbreitung der Erreger im Inland vermieden werden.

Jedes Jahr wird in Österreich ein offizieller Bericht zur Situation der Antibiotikaresistenz („AURES“) erstellt. Bereits getroffene Maßnahmen zur Eindämmung der Resistenz können damit überprüft und falls notwendig adaptiert werden, heißt es beim Gesundheitsministerium.

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