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Patchworkfamilien - Was ist das genau?

Patchworkfamilie ist ein neuer Name für eine Familienform, die es schon sehr lange gibt. Doch während der typische Ausgangspunkt für eine Stieffamilie meist die Verwitwung eines Elternteiles war, steht am Beginn der modernen Patchworkfamilie in der Regel eine Scheidung.

Mit der Scheidungsrate steigt entsprechend auch die Zahl der Patchworkfamilien. In Österreich wird heutzutage beinahe jede zweite Ehe geschieden, hinzu kommt die Zahl der Trennungen unverheirateter Paare mit gemeinsamen Kindern. Gehen die getrennten Elternteile neue Partnerschaften ein, entstehen sogenannte Patchworkfamilien.

Was ist eine Patchworkfamilie?

Fleckerlteppich

Unter einer Patchworkfamilie wird aus psychologischer Sicht eine Partnerschaft verstanden, bei der mindestens einer der Partner ein oder mehrere Kinder mit in die Beziehung bringt. Dieser Definition nach muss also weder eine neue Ehe eingegangen werden, noch müssen beide Partner Kinder haben oder gemeinsame Kinder zeugen, um von einer Patchworkfamilie zu sprechen. Folgt man dieser Auslegung, leben in Österreich etwa 92 000 Kinder in Patchworkfamilien.

Patchworkfamilien gibt es in den verschiedensten Varianten. Die häufigste Form ist die sogenannte Stiefvaterfamilie – bei der eine Frau ihre Kinder aus einer früheren Partnerschaft mit in eine neue Beziehung bringt. Das Pendant dazu ist die Stiefmutterfamilie – eine Form, die es besonders schwer hat. Sind die (gesellschaftlichen) Erwartungen an eine Mutterfigur doch wesentlich höher als an eine Vaterfigur und der kindliche Loyalitätskonflikt (siehe unten) zwischen zwei Müttern besonders groß. Die Stiefmutterfamilie ist vor allem als temporäres Familienmodell – in Form einer „Wochenendfamilie“, bei der die Kinder ihren leiblichen Vater und dessen neue Partnerin besuchen – sehr häufig. Bringen beide Partner eigene Kinder in den neuen Haushalt mit, spricht man rein rechtlich von einer zusammengesetzten Stieffamilie.

Konfliktherde in Patchworkfamilien

Keine Familie ist konfliktfrei. Allerdings haben Patchworkfamilien eine Reihe von Herausforderungen zu bewältigen, die traditionelle Familien nicht betreffen – und zwar von Anfang an. Denn am Beginn der Patchworkfamilie steht immer eine Trennung oder der Tod eines Elternteiles und damit eine Erfahrung, die für jedes Kind – zumindest zunächst – traumatisch ist. Doch auch wenn zwischen dem Zerfall der früheren Familie und dem Aufbau der neuen viel Zeit verstrichen ist, kann längst verarbeitet Geglaubtes wieder ans Licht treten und muss neu bewältigt werden.

Nicht zu unterschätzen sind auch die Veränderungen, die mit einem neuen Geschwisterverbund einhergehen. Wird etwa das Nesthäkchen plötzlich zum Sandwichkind oder bekommt der große Bruder von heute auf morgen eine ältere Schwester, ist das für ein Kind eine frappierende Umwälzung, an die es sich erst einmal gewöhnen muss. Gerade anfangs sind außerdem Konkurrenzgefühle gegenüber den neuen Geschwistern nicht selten. Dies gilt insbesondere, wenn ein Paar in einer Patchworkfamilie noch ein gemeinsames Kind bekommt.

All diese Umbrüche erfordern vor allem eines: Geduld, Geduld und nochmals Geduld. Während „normale“ Familien über Jahre hinweg wachsen, ändert sich die Lebenssituation der Patchworkfamilie metaphorisch gesprochen über Nacht. Es braucht entsprechend seine Zeit, bis sich der neue Familienverbund arrangiert hat. So benötigen Patchworkfamilien Studien zufolge im Schnitt fünf Jahre, um zusammenzuwachsen.

Kind und Ärztin

Der Faktor Kindesalter

Die individuellen Herausforderungen, mit denen eine Patchworkfamilie konfrontiert wird, hängen insbesondere auch vom Alter der Kinder ab. Säuglinge und Kleinkinder etwa sind noch stark auf eine Hauptbezugsperson – in den meisten Fällen die Mutter – fixiert. Bleibt diese starke Bindung bestehen, verkraften Kinder in diesem Alter eine Trennung meist gut und akzeptieren auch eine neue sekundäre Bezugsperson recht bald.

Wesentlich mehr Zeit für die Verarbeitung einer Scheidung benötigen dagegen Kinder im Vorschulalter – auch weil diese dazu neigen, sich selbst die Schuld an der Trennung der Eltern zu geben. Betritt relativ bald ein neuer Partner die Bühne, übertragen viele Kinder diese Schuldgefühle auf das Ersatzelternteil und lehnen es daher ab.

Besonders schwierig gestaltet sich der Aufbau einer Patchworkfamilie mit Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren, da diese zu Loyalitätskonflikten zwischen dem leiblichen und dem sozialen Elternteil neigen. Gerade wenn sie sich gut mit dem neuen Elternteil verstehen, empfinden Kinder in dieser Alterspanne das oft als Verrat am biologischen Vater oder der biologischen Mutter.

Etwas anders gestaltet sich die Situation mit Jugendlichen im Teenageralter. Diesen fällt es oft relativ leicht, eine Trennung zu verarbeiten, dafür haben sie meist Probleme, den sozialen Elternteil als Autoritätsperson anzuerkennen und viele junge Menschen finden im neuen Familienanschluss die jeweilige Elternfigur in ihrer Rolle als Vater oder Mutter nicht mehr.

Wie gelingt eine Patchworkfamilie?

Keine Patchworkfamilie gleicht der anderen und jede ist mit ganz individuellen Herausforderungen konfrontiert. Ein Patentrezept für ein gelungenes Zusammenleben lässt sich daher nicht formulieren – wohl aber einige Anhaltspunkte, die den Alltag in dieser modernen Familienform erleichtern können:

  • Eltern sollten dem Kind Zeit geben, sich an den neuen Partner / die neue Partnerin zu gewöhnen und Schritte wie eine gemeinsame Wohnung oder eine erneute Heirat nicht übereilen
  • Es ist normal, das leibliche Kind mehr zu lieben als das Kind des Partners / der Partnerin und kein Grund sich mit Selbstvorwürfen zu zerfleischen
  • Der neue Partner / die neue Partnerin sollte sich – insbesondere am Anfang – aus Erziehungsfragen heraushalten
  • Das Kind darf auf keinen Fall gedrängt werden, den neuen Partner / die neue Partnerin als Ersatzelternteil anzusehen. Das Ziel sollte vielmehr gegenseitiger Respekt heißen
  • Mit Konflikten offen umgehen, anstatt sie unter den Tisch zu kehren
  • Dem leiblichen Elternteil darf ruhig explizit zugesichert werden, dass sein Status ihm nicht streitig gemacht wird. Spannungen zwischen Erwachsenen nehmen Kinder sehr deutlich wahr!
  • Gerade Patchworkfamilien sollten versuchen, möglichst viel und möglichst fair miteinander zu kommunizieren
  • Es gibt Familien- und Eheberater, die sich auf die besonderen Herausforderungen von Patchworkfamilien spezialisiert haben, es kann Sinn machen diese zu konsultieren um Informationen über die vielen neuen Situationen die sich einstellen können einzuholen
  • Konzentrieren Paare sich auf die Punkte, sie sie verbinden, fällt es ihnen wesentlich leichter, alltägliche Probleme zu meistern

Die Patchworkfamilie als Chance

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Bei all den Hürden, die Patchworkfamilien zu meistern haben, gilt es die besonderen Chancen, welche sie für ihre Mitglieder bereithalten, nicht zu vergessen. So sind Patchworkfamilien oft bunter, vielfältiger und nicht selten lebendiger als traditionelle Familienverbünde. Kinder in Patchworkfamilien lernen zwangsläufig mit vielen verschiedenen Bezugspersonen zu interagieren und sind daher sozial oft überdurchschnittlich kompetent. Außerdem zeigen sie sich nicht selten konfliktfähiger und toleranter als ihre Altersgenossen. Gerade wenn wenig oder gar keine Kontakt zum leiblichen Elternteil besteht, kann der soziale Vater oder die soziale Mutter darüber hinaus eine wichtige emotionale Stütze darstellen.

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